Als Dirigent eines sinfonisches Blasorchesters sind die Zeiten der Corona-Pandemie eine wirklich neue Herausforderung, auf die man auch in keiner Ausbildung oder Studium so wirklich vorbereitet werden kann. Neue Themen liegen plötzlich neben den Partituren auf dem Dirigentenpult, wie z.B.

  • verunsicherte Musiker
  • Musiker die sich während dem Shutdown entwöhnt haben
  • unklare Vorgaben ob oder ob nicht geprobt werden darf
  • Hygiene-Konzepte und Rechtsvorgaben
  • Aerosole und CO2-Messungen
  • finanzielle Unsicherheiten

Jeder der Kollegen, die als Dirigent oder Musiker in Musikvereinen und Blasorchestern tätig sind, werden diese genannten und noch viele weitere Themen aktuell kennen. Aber wie geht man nun als Dirigent mit einer solchen Situation um? In der Zeit zwischen März 2020 und Juli 2020 habe ich versucht in meinem Orchester der Orchestergemeinschaft Seepark sehr viel auf “Online” umzustellen:

  • Weiterbildung über “Blasmusik.Digital” für die Musiker und mich selbst.
  • Online-Proben mit den Musikern, bei denen ich Ihnen neue Werke vorgestellt und Noten durchgesprochen habe
  • Zusenden von Hörbeispielen für das eigene Üben zuhause
  • Noten digitalisiert und gescannt, damit ich es den Musikern per E-Mail senden kann

Bringen es die Online Proben?

Für mich war es sehr spannend, wie die “Online Proben” bei den Musikern ankommen. Bringt es etwas? Haben die Musiker Lust darauf? Was erwarten sie und was muss ich machen, um diese Erwartungen weitgehend zu erfüllen? Das sind Fragen, die ich mir vor den ersten Online Proben gestellt habe. Und dann?

In jeder Online Probe habe ich den Schwerpunkt auf ein Werk gelegt. So ging es z.B. in einer Probe um “Henry V” im Arrangement von Johan de Meij. Und in einer anderen Online Probe um die “Cuban Overture” von George Gershwin. Zu den Werken hatten die Musiker ihre Noten im Vorfeld per E-Mail erhalten. Zu Beginn der Online Probe stand eine allgemeine Werkseinführung. Die Musiker erhielten Informationen zu den Komponisten, dem Arrangement und den geschichtlichen Hintergründen der Werke bzw. der Zeitalter in denen die Werke “spielen”. Anschließend war es wichtig Musik zu hören. Wir haben in verschiedene Hörbeispiele hineingehört, verschiedene Orchesteraufnahmen auf YouTube verglichen und mit Leitfragen habe ich versucht das Hören der Musiker auf verschiedene Aspekte wie Klang, Zusammenspiel, Wirkung, etc. zu lenken.

Mit diesem Eindruck aus Hintergrundwissen und ersten Höreindrücken konnten wir dann gemeinsam die Noten besprechen. Jeweils wichtige Stellen in den einzelnen Registern wurden gemeinsam analysiert. Es wurden Vereinbarungen getroffen, welche Stimmen führen, wer eine Solo-Rolle übernimmt oder auch, wo und wie wir fehlende Instrumente ersetzen. Die Musiker konnten dabei die Einzeichnungen direkt in ihren Noten vornehmen. Dieses Vorgehen wäre sicher auch eine optimale Verbesserung für die Zeiten, in denen die Proben wieder offline bzw. in Präsenzform stattfinden. Daher hat hier die “Zwangspause” sicher auch für eine “Zwangsdigitalisierung” gesorgt, aber mit sinnvollen Nebenwirkungen.

Noch immer offen ist aber die Frage, ob es die “Online Proben” bringen. Diese Frage konnte ich für mich erst beantworten, sobald wir die nächste Präsenzprobe veranstalten würden.

Proberaum suchen

Normalerweise probt die Orchestergemeinschaft Seepark im Bürgerhaus am Seepark. Dies wird verwaltet durch die Stadt Freiburg FWTM. Bedingt durch die Pandemie gilt hier seit April eine geänderte Hausordnung mit sehr umfangreichen Hygienevorgaben. So ist eine Probe im Proberaum der Orchestergemeinschaft Seepark derzeit nur mit max. 10 Musikern möglich. Normalerweise proben wir dort mit bis zu 65 Musikern. Es ist also keine Orchesterarbeit möglich! Sogar unser Jugendorchester mit 25 Musikern kann hier nur in kleinen Gruppen abwechselnd proben, was aber zu keinem guten Ergebnis führen kann. Für mich als Dirigent war aber klar, dass wir, wenn wir weiter nicht proben und abwarten, mit einem immer stärker werdenden “Entwöhnungs-Effekt” bei den Musikern rechnen müssen. Das bedeutet, dass die Musiker, bei denen das Orchester nicht auf Platz 1 der wichtigsten Freizeitbeschäftigungen steht, sich andere Hobbys und Beschäftigungen suchen und wir nach dem Ende der “Zwangspause” vermutlich ein dezimiertes Orchester und klaffende Lücken in den wichtigen Registern haben. Um dies zu vermeiden, war also die Suche nach räumlichen Alternativen angesagt. Und dies sah ich für mich auch als Aufgabe des Dirigenten.

Wir hatten Glück und konnten über eine Anzeige in ebay-Kleinanzeigen einen geeigneten Raum in Freiburg finden, unweit unseres eigenen Proberaums. Diesen dürfen wir anmieten und jeweils Mittwochs für 2 Stunden nutzen von 20 – 22 Uhr. Aber wir müssen ihn bezahlen. Und das ist für das Orchester eine neue Situation. Denn den bisherigen Proberaum im Bürgerhaus am Seepark bekommt das Orchester dankenswerterweise kostenfrei von der Stadt Freiburg zur Verfügung gestellt. Was aber nun tun? Woher die Gelder für die Miete nehmen, wenn doch durch die Pandemie alle Einnahmen durch Veranstaltungen und Konzerte ausgefallen sind?

Nur Kosten, keine Einnahmen

Für die Orchestergemeinschaft Seepark sind seit März 2020 alle Veranstaltungen ausgefallen. Dies bedeutet keine Einnahmen aus diesen so wichtigen Quellen. Vor allem die Veranstaltungen “Vino Musica”, das “Freiburger Oktoberfest” und die Konzerte des Orchesters sind stabile und wichtige Einnahmequellen, die es in diesem Jahr nicht gab. Leider sind die Kostenverursacher aber nicht weggefallen. Trotz Pandemie läuft die Ausbildung in der Musikschule der Orchestergemeinschaft Seepark, wenngleich in der Form auf “Online Unterricht” umgestellt wurde. Es fallen Kosten an für Instrumente, Reparaturen, Noten und Verwaltungsarbeiten. So wie neu jetzt auch für den gemieteten Ersatzproberaum. Es sind also kreative Ideen auch für die Finanzierung gefragt. Als Dirigent, aber auch durch meine Erfahrung aus meinem beruflichen Alltag, habe ich mich um “kreative Finanzierungsquellen für Vereine” gekümmert. Eine dieser Maßnahmen ist das “Fundraising”.

Spendenaktion auf Gofundme für den neuen Paukensatz

Für die Orchestergemeinschaft Seepark habe ich mehrere Aktionen erstellt. Zum einen haben wir uns bei der Aktion “Meet-and-code” von SAP registriert. Dann haben wir uns bei der Spendenverlosung der Sparkasse Freiburg Nördlicher Breisgau angemeldet, bei der Vereine mit den meisten Likes auf ein Foto die Chance auf eine Förderung in Höhe von 1.000,- EUR erhalten haben. Aber als wichtigsten Baustein habe ich eine Spendenaktion auf Gofundme.com erstellt. Ziel ist es die notwendigen Finanzmittel für den dringend benötigten neuen Satz Orchesterpauken zu sammeln. Derzeit wird auf 2 sehr alten Pauken gespielt, die mühevoll geflickt wurden und leider klanglich nicht mehr tragbar sind. Vor allem für die geplante Teilnahme am “World Music Contest  2022″ (WMC) in Kerkrade (NL) benötigt die Orchestergemeinschaft Seepark zur Vorbereitung einen vollständigen hochwertigen Paukensatz. Eine Teilnahme am WMC ist für viele der vor allem jungen Musiker, das Highlight ihrer musikalischen Karriere im Orchester. Und auch für mich als Dirigent ist dies ein wichtiges musikalisches Ziel.

Mit Start der Gofundme.com Kampagne wurden alle Musiker gebeten, viel Werbung für die Aktion zu machen. Ob per Facebook, WhatsApp, E-Mail oder Weiterempfehlung – jegliche Art hilft und jeder potentielle Spender ist wichtig. Nach 30 Tagen Laufzeit konnten so bereits 45% der Spendensumme eingesammelt werden.

Struktur wird digital

Neben diesen finanziellen Themen, der Online-Proben und der Suche nach vielen kreativen Ideen, stand die Orchestergemeinschaft Seepark noch vor weiteren Herausforderungen. Es galt eine Satzungs-Neufassung zu erarbeiten und ein neues Vorstandsmodell in den beiden Trägervereinen der Orchestergemeinschaft Seepark auszuarbeiten. Auch hier war meine Rolle als Dirigent gefragt. Denn jede Neustrukturierung ist auch immer eine wichtige Chance, um musikalische Themen in einer Orchesterarbeit zu optimieren. So fanden viele Online-Sitzungen mit der neuen Vorstandschaft statt von März bis September. Es wurden neue Software-Tools eingeführt wie z.B. Trello.com, mit der man die Vorstandsarbeit auch Online auf Distanz optimal organisieren, Zuständigkeiten und Fälligkeitstermine verwalten kann. Für die Orchesterarbeit wurde die App “Konzertmeister” aktiviert, so dass alle Musiker die Terminplanung und ihre Anwesenheiten künftig ebenfalls Online durchführen können.

Eine kurze Phase Normalität

Mit der Jahreshauptversammlung am 19.09.2020 begann glücklicherweise eine Phase der Normalität. Am Mi. 23.09.2020 konnten wir eine erste Probe durchführen in dem neu angemieteten Proberaum. Seit März die erste gemeinsame Probe für das Orchester. Und für mich als Dirigent eine große Herausforderung. Denn wie sollte diese Probe gestaltet werden? Was sollte das erste Werk sein, das gespielt wird? Wie viele Musiker werden anwesend sein? Wie klappt es mit dem Hygienekonzept des BDB für das Orchester? “Musik ist der Schlüssel!” – Ich entschied mich zu Beginn dieser ersten Probe sehr sehr viel zu musizieren. Kaum reden, keine Ansagen der Vorstandschaft, nur ein paar Hinweise wegen der Hygieneregeln, sonst nur: Musik machen, Musik machen, Musik machen!

Das war genau die richtige Entscheidung. Schnell kam wieder das Gefühl für das gemeinsame Musizieren zurück und das Orchester konnte sich gegenseitig wieder begeistern. So konnten wir 4 wunderbare Proben gestalten, die wirklich eine Phase der Normalität zurück brachten. Wenn auch jeder Musiker mit Maske unterwegs war, alle auf Abstand im Proberaum saßen, immer die Hände desinfiziert wurden und alle paar Minuten eine Lüftungspause eingelegt wurden.

Sogar ein Probenwochenende konnte die Orchestergemeinschaft Seepark realisieren. Erstmal war es nur der Plan, aber tatsächlich durfte das Orchester dann im Oktober in der BDB Musikakademie unter Einhaltung aller Hygienevorgaben ein klassisches Probenwochenende gestalten. Kurzfristig wurde dieses dann sogar noch sehr wichtig. Die Orchestergemeinschaft Seepark wurde zum Forschungsobjekt. Das Freiburger Institut für Musikermedizin nutzte die Gelegenheit für die Erforschung der Auswirkungen der Aerosole im Zusammenhang mit den CO2-Werten beim Musizieren. So wurden alle Proben am Probenwochenende mit Messgeräten dokumentiert und sowohl Mitarbeiter des Instituts FIM, als auch das SWR Fernsehen und SWR Radio waren vor Ort.

» Fernsehbeitrag vom Probenwochenende der Orchestergemeinschaft Seepark in Staufen

» Fernsehbeitrag in der SWR Landesschau am 23.10.2020

» Radiobeitrag vom Probenwochenende der Orchestergemeinschaft Seepark in Staufen

» Presseartikel in der Badischen Zeitung vom 26.10.2020

» Presseartikel aus der Fachzeitschrift “blasmusik”

Lockdown Teil 2

Hoch motiviert nach einem super spannenden und musikalisch erfolgreichen Probenwochenende in der BDB Musikakademie in Staufen konnte die Orchestergemeinschaft Seepark noch zwei mal proben. Aber bereits in der zweiten Probe am 28.10.2020 kam die schlechte Nachricht: Lockdown Teil 2 ab 2.11. für alle Musikvereine und Orchester. Kurzfristig musste ich als Dirigent entscheiden, ob wir weiterhin an unseren Konzertplänen für 12.12. und 13.12. festhalten wollen oder ob wir uns nun in dieser Probe “verabschieden” und bereits in die “Weihnachtspause” starten. Was jeden Dirigenten freut trat ein! Nach Gespräch und Abstimmung mit den Musikern stand fest, die deutliche Mehrheit der Musiker will an der Konzertplanung festhalten. Es wurde vereinbart, dass jeder Musiker den “Lockdown-November” nutzen wird und zuhause selbständig an den Noten des Konzertprogramms weiterarbeitet. Als Dirigent werde ich in der Zeit digital zur Verfügung stehen für Fragen, Hörbeispiele und weitere Online-Proben nach Bedarf. Und je nach Entwicklung der Lage werden wir flexibel agil entscheiden ob und in welcher Form ein Konzert dann stattfinden kann. Meinerseits hoffe ich natürlich, dass ein Konzert möglich wird, aber respektiere vor allem den gesundheitlichen Schutz aller beteiligten Musiker und möglicher Konzertbesucher.

 

Eure Erfahrungen

Wie sind Eure Erfahrungen als Dirigent, Musiker oder Vorstandschaft mit der Corona-Pandemie? Erging es Euch ähnlich? Habt ihr andere Meinungen oder Ideen gesammelt in den letzten Pandemie-Monaten? Schreibt gerne hier Eure Kommentare unter den Beitrag.